Überall, wo Menschen zusammenkommen, ist Kommunikation DAS Medium, das die Menschen verbindet. Ohne wie auch immer geartete Kommunikation gibt es keinen Austausch und keine Beziehungen zwischen den Menschen – oder, um es mit Niklas Luhmanns Worten zu sagen: „Alles muss durch das schmale Nadelöhr der Kommunikation geleitet werden.“ (Niklas Luhmann, 2004, Einführung in die Systemtheorie, S.123).
Wie schmal dieses Nadelöhr ist und welch „großes Kamel“ durch dieses Nadelöhr hin und wieder durch muss, kann wahrscheinlich jede Change-Managerin[1] nachvollziehen, die jemals in Veränderungsprojekten die Überbringerin und / oder Empfängerin schlechter Botschaften war. Selbst wenn man sich noch so gut vorbereitet, sich beraten lässt und die professionellen Ratschläge beherzigt, sind solche Kommunikationssituationen oft die, in denen man Grenzerfahrungen macht. Nimmt man sich die Zeit, diese zu reflektieren, hat man die Chance, genau hier zu erkennen, welch komplexer Prozess Kommunikation ist und dass aufgrund dieser Komplexität Missverständnisse in der zwischenmenschlichen Kommunikation schon fast das wahrscheinlichere Ergebnis sind als
Übereinstimmung. Steve de Shazer[2] bringt es m.E. auf den Punkt, wenn er sagt „Kommunikation ist die Verkettung von mehr oder weniger nützlichen Missverständnissen“.
Auf mich hat diese Sichtweise eine sehr entlastende Wirkung, und deckt sich mit meiner Erfahrung bzgl. Information und Kommunikation in Veränderungsprojekten. Lässt man sich auf diese Sichtweise ein, heißt das, dass Missverständnisse im Kommunikationsprozess vorprogrammiert sind. Natürlich kann man mit Hilfe von professionellen Kommunikationstechniken, einer achtsamen und wertschätzenden Grundhaltung und mit Prozess-Know-how den Kommunikationsprozess positiv beeinflussen…Patentrezepte – und das gilt auch und vor allem für Veränderungsprojekte – in der Kommunikation mit anderen gibt es jedoch nicht. Das liegt m.E. daran, dass Menschen, systemisch betrachtet, nach dem Prinzip der „nicht-trivialen“ Maschine „funktionieren“[3].
Während „nicht-lebende“ Systeme (z.B. Maschinen) nach dem Prinzip der trivialen Maschine funktionieren, d.h. auf denselben Input folgt immer derselbe Output, funktionieren gemäß Heinz von Foerster „lebende Systeme“ bzw. soziale Systeme (z.B. Menschen, Teams, Organisationen usw.) nach dem Prinzip von nicht-trivialen Maschinen, d.h. auf denselben Input folgt in Abhängigkeit der inneren Zustände ein immer anderer Output (vgl. Abb.1)
Abbildung 1: Modell der (Nicht-)Trivialen Maschine nach H. v. Foerster
Zieht man dann noch in Betracht, dass sich lebende Systeme mit anderen lebenden Systemen über Kommunikation „koppeln“ und dass soziale Systeme durch Kommunikation erzeugt und aufrechterhalten werden, werden Kommunikations- und Interaktionsprozesse zum Lebenselexier von sozialen Systemen. Das gilt auch für Projekte, denn systemisch betrachtet ist ein Projekt ein komplexes soziales System, das aus Menschen, deren Rollen und deren Beziehungen untereinander besteht.
Im Zusammenhang mit Changemanagement ist das Modell der nicht-trivialen Maschine in meinen Augen ein unverzichtbares Basismodell, das dazu beiträgt, Menschen besser zu verstehen und dazu befähigt, Kommunikation als Prozess zu betrachten und nicht als eine Aktivität, bzw. ein Ereignis oder Ergebnis. Es liefert darüber hinaus einen Erklärungsansatz, warum gerade in Veränderungssitutationen jegliche Patentrezepte ihre Gültigkeit verlieren und Kommunikation anstrengend und – ja, manchmal auch frustrierend ist…für beide Seiten, sprich: Senderin und Empfängerin. Management und Führung am „Rande des Chaos“ erfordert Kompetenz im Umgang mit nicht-trivialen Maschinen gepaart mit Know-how bzgl. Veränderungsprozessen und Veränderungsenergie. Ich widme mich deshalb im folgenden Abschnitt etwas ausführlicher dem Umgang mit nicht-trivialen Maschinen.
Vom Umgang mit nicht-trivialen Maschinen (NTM)[4] – oder der Abschied von Patentrezepten
Ich beginne zunächst noch mal mit einer kurzen Beschreibung der Charakteristika der trivialen Maschine (TM), um den Unterschied deutlich zu machen.
Der Charme der TM liegt in ihrer Einfachheit und in ihrem Gehorsam[5]. Der gleiche Input hat verlässlich immer denselben Output, d.h. die Operation ist eindeutig, berechenbar und wiederholbar. Es gibt nur ein richtig oder falsch, wobei jedes „falsch“ eine Störung ist. Der Fokus liegt auf dem Resultat und der „Prozess“ interessiert nur dann, wenn es eine Störung gibt. Die Steuernde ist nicht Teil des Systems.
Das die NTM auszeichnende Merkmal ist augenscheinlich Ungehorsam. Sie unterscheidet sich von der TM auf ungeheuer folgenreiche Weise: „Eine einmal beobachtete Reaktion auf einen gegebenen Stimulus muß in einem späteren Zeitpunkt nicht wieder auftreten, wenn der gleiche Stimulus auftritt“.[6]
Dies bedeutet, dass die Gesetzmäßigkeit der Maschine situationsabhängig ist, d.h. der Output ist nicht berechenbar, nicht wiederholbar und nicht eindeutig. Will man mit der NTM richtig umgehen, erfordert dies ein gründliches Umdenken. Die einfache Kausalität von Ursache und Wirkung in Form von immer derselbe Input ergibt immer denselben Output funktioniert hier nicht. Stattdessen muss man sich die Antwort anschauen, die auf den Input erfolgt, um dann, ausgehend von der Antwort, den nächsten Input zu wählen.
Dies bedeutet jedoch, sich auf einen permanenten Prozess von Input und Antwort einzulassen. Ein permanentes In-Kontakt-bleiben, egal was passiert, bzw. wie die Antwort ausfällt, ist hier die Herausforderung.
Hier geht es nicht um den verlässlich immer gleichen Output, sondern die Verlässlichkeit entsteht daraus, dass der Prozess läuft. Statt Denken in Resultaten ist hier das Denken in Prozessen angesagt. Um diesen Prozess kompetent am Laufen zu halten ist es hilfreich, wenn man folgendes übt:
- Schärfung der Wahrnehmung
- Denken in Alternativen
- Entwickeln einer „Expertise“ des Nichtwissens
- Aus Bekanntem Unbekanntes machen
- Das Unentscheidbare entscheiden
Dabei gilt es zu beachten, dass nicht nur Menschen nach dem Prinzip der NTM funktionieren, sondern auch Organisationen, Teams, Märkte, die Gesellschaft, Institutionen oder Nationen, usw..Des weiteren gilt es zu beachten, dass der Prozess mittels Kommunikation am Laufen gehalten wird.
It takes two to Tango!
Das vielleicht wichtigste im Umgang mit NTM ist es zu realisieren, dass man selbst Teil des Prozesses, bzw. eines Systems ist. Dies bedeutet auch, sich immer die Frage zu stellen, was der eigene Anteil an der vorliegenden Situation ist!
Die eigene Geschichte meistern[7] im Umgang mit anderen ist dabei nur eine der Herausforderungen auf dem Weg zu einem gelungenen, permanenten Interaktions- und Kommunikationsprozess mit relevanten Umwelten.
Der Umgang mit NTM erfordert, bildlich gesprochen, die Bereitschaft zum „Tanz“. Ein gelungener Tanz findet immer im Hier und Jetzt statt und ist Ziel und Aufgabe zugleich. Er erfordert ein ständiges im Kontaktbleiben, um die Energie und Spannung zu halten. Uneindeutigkeit oder gar Fehlschritte sind die Voraussetzung dafür, dass jenseits der „normierten“ Schritte Neues entstehen kann.
Das erfordert Sensibilität und die Fähigkeit, mit Unerwartetem umzugehen. Bei einem wirklich guten Tanz ist man Führende und Geführte zu gleich. Es erfordert die Fähigkeit, zur richtigen Zeit die richtigen Impulse zu setzen und die Impulse der Partnerin aufzunehmen und ausgehend von deren Antwort einen neuen Impuls zu setzen.[8]
Und was noch?
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Umgang mit nicht-trivialen Maschinen erfordert
- Prozessorientierung statt Outputorientierung
- ein gesundes Maß an Irritierbarkeit zuzulassen
- ein ständiges In-Kontakt-Bleiben – egal, was passiert
- das Wissen, dass man selbst Teil des Interaktionsprozesses ist
- den eigenen Verarbeitungsprozess zu kennen
- trägfähige Arbeitshypothesen zu entwickeln bzgl. der Verarbeitungsprozesse von anderen NTM und die Bereitschaft, diese ggf. wieder zu verwerfen
- Selbstorganisation zuzulassen und zu fördern
- Kommunikation, Komunikation und nochmal Komunikation
Und wenn mal was schiefgeht in der Kommunikation heißt das, trotzdem in Kontakt zu bleiben, darüber zu sprechen, und gemeinsam einen „Reparaturprozess“ zu entwickeln. Erst wenn der Kontakt dauerhaft unterbrochen ist, kann man m.E. von misslungener oder gescheiterter Kommunikation sprechen.
Dass Kommunikation keine Einbahnstraße ist, müsste spätestens jetzt klar geworden sein. Führungskräfte in den Chaoswelten des 21. Jahrhunderts, in denen die Leistungsfähigkeit von Organisationen in erster Linie von der Flexibilität und Vielfalt der organisationsinternen Strukturen und Prozesse abhängt und die Veränderungsfähigkeit der Organisation und ein gut funktionierendes Zusammenspiel zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft zum kritischen Erfolgsfaktor geworden ist, sollten sich das immer dann ins Gedächtnis rufen, wenn sie mal wieder den Eindruck haben, gründlich missverstanden worden zu sein, oder die Reaktion der Empfängerinnen einer Botschaft ganz anders ausfällt als erwartet.
Denn „Information und Kommunikation stellen das zentrale Führungsmittel dar. Unter der Grundannahme, dass der Empfänger die Botschaft bestimmt und der Sender für ihren Inhalt zuständig ist, sollte unsere Aufmerksamkeit dem eigenen Ausdruck und dem Kommunikationspartner gelten, um als Führungskraft erfolgreich zu kommunizieren.“[9]
Leichter gesagt als getan, meinen Sie? Da haben Sie nicht ganz unrecht. Aber zum Glück gibt es auch hierzu wieder ein Basismodell, das in keiner noch so kleinen Toolbox der Kommunikation fehlen sollte, weil es zum einen helfen kann, eine nicht-trivialisierende Haltung in der Kommunikation einzunehmen und zum anderen wertvolle Hinweise liefern kann, woran es liegen kann, wenn sich Führungskraft oder Geführte nicht oder miss-verstanden fühlen. Ich spreche vom Sender-Empfänger-Modell
Abbildung 2: Sender-Empfänger-Modell nach Stuart Hall (1970)[10]
„Wer kommuniziert, überträgt Nachrichten, Mitteilungen oder Äußerungen. Der Sender codiert seine Nachricht und übermittelt sie über ein Medium an den Empfänger. Das Medium ist zum Beispiel die gesprochene Sprache oder nonverbale Signale. Der Empfänger muss den Code, zum Beispiel eine Fachsprache, kennen, um die Mitteilung verstehen zu können. Denn er decodiert die Nachricht. Durch die Rückmeldung kann der Empfänger prüfen, ob er die Mitteilung richtig verstanden hat und der Sender stellt fest, ob seine Äußerung richtig verstanden wurde.“[11]
Das Kommunikationsdilemma – oder: gehört heißt nicht verstanden…
Während es in der Technik in der Regel ziemlich einfach ist, ein Datenpaket von A nach B zu transportieren, ohne dass es Schaden erleidet, ist das in der zwischenmenschlichen Kommunikation nicht so einfach. Das Entstehen von „Kommunikationsfehlern“, sprich Missverständnissen kann mehrere Ursachen haben:
- in der Codierung und Decodierung durch unterschiedliche Sprachen, Übersetzungsfehler, Mehrdeutigkeit, selektive Wahrnehmung, mangelnde Aufmerksamkeit, kulturelle Unterschiede
- im Übertragungskanal durch übertönenden Lärm, unterschiedliche Wahrnehmungskanäle, verfälschende „Stille Post“
- im unterschiedlichen Wissens- bzw. Zeichenvorrat der Menschen
- im situativen Kontext der Kommunikation
Vor dem Hintergrund, dass die Empfängerinnen für die Botschaft verantwortlich sind und die Senderinnen für die deren Inhalt, wie oben bereit erwähnt, kommt noch ein anderer Aspekt ins Spiel: Jede Nachricht kommt quasi als Paket daher, mit dem mehr übermittelt wird als die reine Information. Jede Nachricht enthält neben dem Sachinhalt (worüber ich informieren möchte) auch Beziehungsinhalte:
- Selbstkundgabe (was ich über mich selbst mitteile)
- Beziehungsseite (wie ich zu meinem Gegegenüber stehe bzw. was ich von ihr halte)
- Appellseite (wozu ich mein Gegenüber veranlassen mochte)
Dies bedeutet, dass die Empfängerinnen einer Botschaft mit „vier Ohren“ hören – welches gerade bei der einzelnen Empfängerin besonders weit offen ist, ist situationsspezifisch und je nach Befindlichkeit unterschiedlich.
Abbildung 3: „Vier-Ohren-Modell“ nach Friedemann Schulz von Thun
Das kleine Einmaleins für eine erfolgreiche Kommunikation – oder: verstanden ist auch einverstanden?
Auf Basis der vorgestellten Modelle lassen sich m.E. ein paar wichtige Grundregeln für eine erfolgreiche Kommunikation aufstellen.
- Machen Sie sich bewusst, dass nicht die Senderin die Botschaft der Nachricht bestimmt, sondern die Empfängerin.Es kommt nicht darauf an, was gemeint ist, sondern wie es bei den Empfängerinnen ankommt. Bevor Sie also eine Botschaft senden, ist es wichtig, sich mit Ihrem Adressatinnenkreis auseinander zu setzen. Achten Sie auf Anschlussfähigkeit
- Seien Sie sich über Ihre Erwartungen bzgl. der Reaktionen im Klaren.Haben Sie im Vorfeld ihre Erwartungen klar formuliert und wurden diese verstanden? Haben Sie Ihren Standpunkt deutlich und vollständig artikuliert? Seien Sie sich auch hier Regel Nr. 1 bewusst und wiederholen Sie ggf. schon einmal Gesagtes. Wenn Ihre Erwartungen enttäuscht werden, gehen Sie in einen Feedbackprozess, indem Sie beobachtbares Verhalten rückmelden. Vermeiden Sie Bewertungen und „den moralischen Zeigefinger“
- Formulieren und artikulieren Sie Ihre Botschaft klar, deutlich und vollständig und überlegen Sie sich Zeitpunkt, Situation, Mittel und Rahmen.Dies ist besonders wichtig im Changemanagement. Wenn Sie schlechte Botschaften zu überbringen haben – seien Sie hart in der Sache und weich zu den Personen. Achten Sie darauf, dass Ihre Botschaften explizit auch emotionale Inhalte enthalten.
- Stellen Sie durch geeignete Mittel den Transfer Ihrer Botschaften sicher.In einer Gesprächssituation: lassen Sie sich zusammenfassen, was gehört wurde. Vergleichen Sie es mit dem, was Sie gemeint haben. Korrigieren Sie bei Bedarf. Fertigen Sie bei wichtigen Gesprächen oder Meetings ein Protokoll oder eine Gesprächsnotiz an, vor allem, wenn es um eine anschließende Erfolgsprüfung geht. Dies dient u.a. dazu, Missverständnisse zu einem frühen Zeitpunkt zu korrigieren.
- Falls trotzdem etwas schiefläuft und Ihre Erwartungen als Führungskraft, Change- managerin, usw. nicht erfüllt werden, beschreiben Sie die Wirkung und verzichten Sie darauf, Verhalten zu interpretieren.Konzentrieren Sie sich darauf, zu beobachten und diese Beobachtungen zu beschreiben. Sie gehen damit von der emotionalen Ebene auf die mentale Ebene. So vermeiden Sie erste, unüberlegte Reaktionen, die eventuell die Kommunikationssituation außer Kontrolle geraten lassen.
- Ich-Botschaften sind der Schlüssel zum Erfolg im Changemanagement!Vor allem im Changemanagement, wenn alles in Bewegung ist und vertraute Strukturen aufgelöst werden, ist die direkte Führungskraft Orientierungspunkt für die Mitarbeiterinnen. Deshalb: Sprechen Sie über die eigenen Gefühle und ihr eigenes Erleben, teilen Sie Ihre Wünsche in Bezug auf die Beteiligten mit – und seien Sie nicht enttäuscht, wenn die Botschaften nicht auf Anhieb landen.
Denken Sie daran: Wenn es Ihnen auf die Sachinhalte ankommt, müssen Sie in erster Linie für eine positive Beziehung zwischen Ihnen und den Empfängerinnen Ihrer Botschaft sorgen. In Veränderungsprojekten ist das eine besondere Herausforderung.
Balance halten – die hohe Kunst des Sowohl-als-auch
In Veränderungsprojekten ist die Beziehungsebene zwischen Führungskraft und Geführten besonderen Belastungen ausgesetzt. Das „System“ ist irritiert! Was vorher in geordneten Bahnen, verlässlich und stabil war, ist jetzt in Bewegung. Das Chaos lugt unverhohlen durch das Netz der „heiligen“ Ordnung. Wie konnte die Hüterin der „heiligen Ordnung“ das nur zulassen?
Zusätzlich ist auch die Sachebene nicht immer leicht zu handhaben, denn tiefgreifende Veränderungsprojekte unterliegen im betrieblichen Alltag oft auch Geheimhaltungsvereinbarungen. Informationen bzw. Botschaften werden dann nur sehr selektiv und ohne den Kontext mitzugegeben gesendet. Gleichzeitig hat die Führungskraft auch mit den eigenen Gefühlen zu kämpfen, denn auch sie ist Teil der Veränderung. Oft ist die Managerin dann auch noch Überbringerin schlechter Botschaften, was keine gerne ist. Kurzum: Als Führungskraft fühlt man sich in diesen Situationen nicht unbedingt wohl in seiner Haut, ist jedoch gerade in bewegten Zeiten für sein Team meist der einzig verlässliche Orientierungspunkt. Manche Führungskräfte fühlen sich in der Situation überfordert und reagieren dauerhaft mit Rückzug – und machen damit den Raum ganz weit auf für „Stille Post“ und eigene Interpretationen für das, was der „Flurfunk“ sendet. Andere versuchen betont „sachlich“ zu bleiben – und erreichen damit vor allem, dass die Beziehungsohren ganz weit geöffnet sind. Wieder andere sind voller Veränderungsenthusiasmus, preschen begeistert vor, entwerfen Zukunftsbilder – und überfordern damit das Team, das sich eventuell noch in der Schockstarre befindet. Das sind alles brauchbare Strategien, die Sie im Verlaufe eines Veränderungsprozesses brauchen – jedoch zur richtigen Zeit.
Wenn Sie als Führungskraft die Veränderungsfähigkeit in ihrem Team steigern wollen, müssen Sie jedoch genau jetzt in Kontakt gehen. Nur so kann es gelingen, die aus Unsicherheit und Destabilisierung entstehende organisationsinterne Dynamik leistungsfördernd zu nutzen und in Veränderungsenergie umzuwandeln.
Was brauchen Sie dazu?
- Sorge für sich selbst tragenZiehen Sie sich solange zurück, bis Sie für sich eine Strategie gefunden haben, mit der Veränderungssituation umzugehen. Beobachten Sie sich selbst was in Ihnen vorgeht und welche Phasen Sie durchlaufen. Achten Sie dabei auf Ihre Gefühle. Das wird Ihnen später nutzen, denn jede in Ihrem Team durchläuft dasselbe Chaos an Gefühlen – in ihrem eigenen Rhythmus und ihrer eigenen Geschwindigkeit. Tauschen Sie sich eventuell mit vertrauten Personen aus oder lassen Sie sich coachen. Treten Sie dann vor Ihr Team, wenn Sie für sich Klarheit gefunden haben und Ihre Rolle als Führungskraft leben können.
- Ein gesundes Maß an Irritierbarkeit zulassenSehen Sie Irritation als ersten nötigen Schritt in einem Lernprozess. Sprechen Sie mit Ihrem Team darüber, dass Sie irritiert sind. Gehen Sie in einen Dialogprozess. Machen Sie Ihre Wahrnehmungskanäle auf, beobachten Sie und üben Sie sich in Anschlussfähigkeit. Bedenken Sie, dass Sie im Verarbeitungsprozess schon viel weiter sind als Ihr Team. Halten Sie die Balance zwischen Nähe und Distanz. Fragen Sie und nehmen Sie sich Zeit für die Antworten.
- Wissen über die Logik der Gefühle in Veränderungsprozessen[12]Geben Sie den Emotionen Raum. Gefühle sind der Motor in Veränderungsprozessen. Ohne Affekt kein Effekt. Jedes Gefühl hat seine spezielle Funktion und seinen besonderen Wert im Veränderungsprozess und seine eigene Logik in Bezug auf Wahrnehmung, Zeitrhythmus, Handlungsmuster und Kommunikationsbedürfnis.
Abbildung 4: vgl. B. Heitger, A. Doujak, Harte Schnitte, neues Wachstum, 2002, S.120
Bevor Sie das Gespräch mit einzelnen Personen suchen, versuchen Sie herauszufinden, in welchem Gefühlszustand sich die Person befindet. Nur so können Sie die richtigen Kommunikationsangebote machen. Und bedenken Sie, das Team insgesamt hat auch einen eigenen Gefühlszustand.
Sie erinnern Sie sich vielleicht? Wem es auf die Sachinhalte ankommt, muss für eine positive Beziehung sorgen. Wenn Sie hier den falschen Ton anschlagen, indem Sie z.B. rosige Zukunftsvisionen kommunizieren, wenn Ihr Team noch im Tal der Tränen feststeckt, müssen Sie sich nicht wundern, wenn Sie keine Begeisterungsstürme ernten.
Lost in transition!? – Gefühlschaos im „Dazwischen“
In der Übergangsphase zwischen „Alt“ und „Neu“ laufen zwei mentale Prozesse gleichzeitig ab: das Alte loslassen und sich auf das Neue vorbereiten. Typisch für die Übergangsphase ist ein Gefühlschaos, das oft als schwierig und als erschöpfend erlebt wird. Man muss mit allen Gefühlen klarkommen, Chancen und Risiken abwägen, Orientierung finden, Abschied und Verlust verarbeiten und jede Menge Reflexionsarbeit leisten. Und nebenbei noch die motiviert das daily business erledigen. Als Führungskraft sind Sie nicht nur mit Ihrem eigenen „Dazwischen“ beschäftigt, sondern auch mit dem Ihres Teams, Ihrer Organisation und evtl. der ganzen Firma. Oft wird es im betrieblichen Alltag vermieden, über Gefühle bzw. Emotionen zu sprechen. Als Führungskraft können Sie das ändern, in dem Sie den Raum dafür aufmachen. Wenn Sie die Funktion und Dynamik der Gefühle verstehen, können Sie angemessen darauf reagieren, wenn Sie in Veränderungsprozessen auf sie treffen.
Abbildung 5: vgl. B. Heitger, A. Doujak, Harte Schnitte, neues Wachstum, 2002, S.120 – 125
Do’s and Don’ts der Kommunikation in Veränderungsprojekten – ein kleiner Leitfaden zum Abschluss
Erinnern Sie sich: Die Empfängerin bestimmt die Botschaft, die Senderin ist für den Inhalt verantwortlich? Für das Senden von Nachrichten in anspruchsvollen Situationen gibt es ein paar nützliche Regeln zum Schluss:
- Kommunizieren Sie zielgruppenorientiert – was interessiert Ihr Publikum in Bezug auf die bevorstehende Veränderung? (was verändert sich, wer ist involviert, wie wird der Wandel vor sich gehen, warum müssen wir was ändern und wie ist der Zeitplan)
- Kommunizieren Sie glaubwürdig, was die Veränderung bringt
- Kommunizieren Sie klar und präzise nach innen und außen und bereiten Sie sich gut vor
- Behandeln Sie ihre Mitarbeiterinnen zu jeder Zeit mit Respekt
- Hören Sie zu
- Seien Sie sichtbar und präsent
- Seien Sie, wenn erforderlich, hart in der Sache und weich zu den Menschen
Was Sie vermeiden sollten:
- Humor an der falschen Stelle
- Versprechungen, die Sie nicht halten können
- Rechtfertigungen und Streit
Und wenn etwas schiefgeht, denken Sie daran: „Kommunikation ist die Verkettung von mehr oder weniger nützlichen Missverständnissen“ und starten Sie ggf. den Reparaturprozess.
[1] Bearbeitungshinweis der Autorin: Der besseren Lesbarkeit halber werde ich im Folgenden durchgehend die weibliche Schreibweise verwenden, außer in Zitaten. Die männlichen Leser dürfen sich mitgemeint fühlen.
[2] Amerikanischer Psychotherapeut und Autor, 1940 – 2005
[3] vgl. H. v. Foerster, Wissen und Gewissen, 1993, S.242-255
[4] Ich beziehe mich hier im Wesentlichen auf die für mich gut nachvollziehbare Interpretation von Prof. Kurt Buchinger während des Modul 11 meines MBA-Studiengangs
[5] vgl. H. v. Foerster, Wissen und Gewissen, 1993, S.247
[6] vgl. H. v. Foerster, Wissen und Gewissen, 1993, S.247
[7] vgl. Patterson / Grenny / McMillan / Switzler; Crucial Conversations. Tools for talking when stakes are high, 2002, S.93ff
[8] Am Rande bemerkt: Als Liebhaberin des Argentinischen Tangos kann ich es gut nachvollziehen, dass manche Trainingsunternehmen diesen Tanz einsetzen, um einen modernen Begriff von „Führung“ erfahrbar zu machen.
[9] vgl. O. Beyer, Achtsamkeit als Führungsfundament, in: Führungsstärke. Grundlagen –Basisfaktoren – Tools, 2013, S.75
[10] vgl. auch: http://www.google.de/imgres?imgurl=http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/c4/Sender- Empf%25C3%25A4nger-Modell.svg/525px-Sender-Empf%25C3%25A4nger- Modell.svg.png&imgrefurl=http://de.wikipedia.org/wiki/Sender-Empf%25C3%25A4nger- Modell&h=266&w=525&sz=32&tbnid=_qd3V8tKcXYyzM:&tbnh=61&tbnw=120&zoom=1&usg=__ZwBYsFUQiADh3ftCoGXLo_Z zQhM=&docid=AAoxzd1aONbVSM&sa=X&ei=6AgjUu-iNonGtAak14C4Cg&sqi=2&ved=0CDoQ9QEwAg&dur=764, 01.09.2013
[11] vgl. http://www.business-wissen.de/handbuch/kommunikation-als-fuehrungskraft/kommunikationsmodelle/, 01.09.2013
[12] vgl. B. Heitger, A. Doujak, Harte Schnitte, neues Wachstum: Die Logik der Gefühle und die Macht der Zahlen, 2002, S.115 -126
Dieser Artikel erschien im Tagungsband Methodentag 2015 des pm-forum augsburg.