Was die Arbeitswelt von morgen für uns bereit hält, wird gerade vielfach diskutiert. Mit ihren Megatrends Digitalisierung und Globalisierung schafft sie eine Flexibilität, die Unternehmen einerseits auf dem Weltmarkt agil hält und ungeahnte Spielräume in der Arbeitsgestaltung zulässt. Anderseits macht sie aber auch vielen Menschen Angst. Bringt sie eine digitale Vernetzung, die ein Maximum an Freiheit zulässt, oder eine, die orientierungslos macht, überfordert und hemmungsloser Überwachung Tür und Tor öffnet? Wie wird Arbeit in Zukunft unter diesen Bedingungen organisiert, wenn die weltweite Arbeitsteilung im Wirtschaftssystem weiter zunimmt und die Unternehmensgrenzen zusehends verschwimmen? Im Extremfall, so Dr. Nicola J. Millard, Customer Experience Futurologist bei der British Telecom, hat ein modernes Unternehmen keine Hardware vor Ort, kein Büro und auch keine festen Mitarbeiter mehr. Deshalb wird an komplexen, schnell wechselnden Aufgabenstellungen nicht mehr an festen, wie für die Ewigkeit geschaffenen örtlichen Einheiten gearbeitet werden. Stattdessen vergeben Firmen über virtuelle Arbeitsmarktdatenbanken temporär Projekte per Ausschreibung und arbeiten mit über den Erdball verteilten Freelancern.[1]
Auch wenn das total virtuelle Unternehmen wohl noch lange eine Ausnahmeerscheinung bleiben wird, ist dennoch der Trend bereits ablesbar – bildlich gesprochen rollt der Zug schon, auch wenn die Weichen noch nicht gestellt sind.
Ein Zukunftsbild, das näher an der momentanen Wirklichkeit ist, ist der Aufbau von „Wissensmarktplätzen“ oder „ExpertInnen-Pools“ großer Unternehmen. Über diese werden für Projekte die passenden ExpertInnen gefunden und immer wieder neu zu Teams gemischt. Neben entsprechenden Tools, die die Kompetenzen und ihre TrägerInnen sichtbar machen, braucht es dafür Führungskräfte, die die im Unternehmen vorhanden Kompetenzen kennen. Sie müssen es schaffen, diese KompetenzträgerInnen unter einem gemeinsamen Ziel zu vernetzen und schnell zu einem performanten Team auf Zeit zu formen. Dies bedeutet zum einen, dass in den bewegten Chaoswelten des 21. Jahrhunderts Projektarbeit über alle Grenzen hinweg weiter zunehmen wird. Zum anderen schafft das aber auch neue Herausforderungen für die Menschen, die in Projekten arbeiten und die Projekte leiten. Es bedeutet letztendlich, so unsere Hypothese, dass Projekte in weit größerem Maß als heute zu Orientierungspunkten werden, in einer von Agilität und Flexibilität geprägten Wirtschaftswelt. Für die virtuellen Job-NomadInnen einer modernen VUCA-Arbeitswelt sind Projekte virtuelle Oasen, die im bewegten Umfeld temporär Stabilität, Zugehörigkeit, Orientierung, Einfluss, Verlässlichkeit und Sicherheit bieten. Ein Projekt wird sozusagen zur stabilen Zone auf Zeit.
Was sind stabile Zonen?
Laut der Organisationsberaterin Dr. Roswita Königswieser hängen stabile Zonen „eng mit der eigenen Identität zusammen und steuern das Handeln“. Sie „haben für ihre Besitzer ganz außerordentliche Bedeutung. Ihr Verlust ist jeweils auch ein Verlust an Identität. Sie werden daher gegen Angriffe erbittert verteidigt.“[2]
Stabile Zonen können u.a. sein:
- Ideen, z.B. lebensbegleitende Werte oder Wertvorstellungen, politische Ideologien, Traditionen, starkes berufliches Interesse mit den dahinterstehenden Theorien etc.
- Macht, im Sinne von Einfluss nehmen können auf Andere; z.B. Macht auf Grund von physischer Kraft, überlegenen Instrumenten, hierarchischen Positionen, Zugang zu Informationen, Wissen oder Netzwerken, etc.
- Menschen, sprich wertvolle, andauernde, vertrauensvolle persönliche Beziehungen zu Menschen zu haben innerhalb der Familie, des Freundeskreises, oder KollegInnenkreises etc.
- Plätze, in Form von geographischen Orte, die mit „Heimatgefühl“ verbunden sind; „Kraftorte“, an denen man sich wohlfühlt, und an die man sich zurückziehen kann, z.B. ein Haus, eine Bank im Garten, ein Straßenzug, etc.
- Dinge, beispielsweise Gegenstände, die einem vertraut sind und nicht so einfach austauschbar sind z.B. Kleidungsstück, Erbstück, Foto auf dem Schreibtisch, Talisman etc.
- Organisationen; gemeint sind menschliche Zusammenschlüsse, denen man angehören will, weil man sich mit deren Zielen identifiziert und als Mitglied Anerkennung und Geborgenheit findet, z.B. Betriebe, Berufsgruppen, Kirchengemeinschaften, Gewerkschaften, Clubs, Verbände
Stabile Zonen sind Kraftquellen
„Ganz ohne stabile Zonen können wir nicht leben. Somit ist ihr Schutz jeweils auch Selbstverteidigung“[3].
Stabile Zonen sind Kraftquellen, die in Zeiten von Unsicherheit und Überlastung, Umbrüchen und Krisen Halt und Unterstützung geben und unsere Resilienz stärken. Dies jedoch nur, wenn man sich regelmäßig um sie kümmert. Es lohnt sich, sie in regelmäßigen Abständen unter die Lupe zu nehmen und auf den Prüfstand zu stellen. Wie nützlich, stabil und kompatibel sind sie noch in einer Zeit, in der Globalisierung und Digitalisierung alles durcheinanderwirbeln? Lohnt es sich noch, in sie zu investieren, wenn „plötzlich“ alles anders, unvorhersagbar und ungewiss ist? Inwieweit kann man sie und ihre Veränderung beeinflussen?
Die meisten Wirtschafts- und organisationstheoretischen Beiträge beschäftigen sich derzeit damit, wie man als Organisation mit dieser Entwicklung Schritt halten kann. Da geht es vor allem um Innovation, Beweglichkeit und Geschwindigkeit. Wozu sich also mit Stabilität aufhalten?
Bei allem Nachdenken über Vernetzung, Agilität und Flexibilität darf man nicht vergessen, dass Fortschritt und Entfaltung nur möglich sind, wenn sie auf einer soliden Basis beginnen. Eine Rakete kann ohne Rampe nicht starten und ein Wolkenkratzer ohne Fundament nicht stehen. Wir können buchstäblich keinen Schritt nach Vorne und schon gar keine Luftsprünge machen, wenn wir nicht mit einem Bein auf dem Boden stehen und von dort die Kraft nehmen, uns gegen die Schwerkraft abzudrücken.
Stabile Zonen bieten genau diesen Boden, der uns Menschen Kraft gibt, Veränderungen mutig und zuversichtlich anzugehen aus einem Gefühl der Sicherheit und Stabilität heraus. Grund genug, sich Gedanken zu machen über Stabilität und stabile Zonen, in Zeiten des gesamtgesellschaftlichen Umbruchs mit seinen Begleiterscheinungen Verunsicherung und Überforderung. Denn Organisationen verändern sich nicht selbst, sondern es sind Menschen, die Organisationen verändern – und als solche unterliegen sie bestimmten, menschlichen Gesetzmäßigkeiten.
Stabile Zonen kommen unseren physiologischen Bedürfnissen entgegen
Menschen sind aus natürlicher Sicht für einen Wechsel von Flexibilität und Stabilität angelegt. Wir haben einen Stoffwechsel, der Nahrung in Energie wandelt, welche wir wieder mit organischen Aktivitäten, Denken und Bewegung verbrauchen. Wir benötigen einerseits Ruhe, um unsere Batterien wieder aufzuladen. Andererseits braucht der Organismus auch Bewegung und geistige Herausforderungen, um in Schwung zu kommen. Wenn wir zu wenig schlafen, zu viel essen, uns zu wenig bewegen und in der Arbeit keine Pausen einlegen, werden wir unruhig und unausgeglichen. Wird das Ungleichgewicht chronisch, führt das unter Umständen auch zu erhöhtem Alkoholkonsum, Bluthochdruck, Konzentrationsverlust oder auch Depressionen.
In einer stabilen Zone befinden wir uns dann, wenn wir einen gleichgewichtigen Wechsel von Ruhe und Aktion vollziehen können. Das merken wir daran, wenn wir uns ausgeschlafen, aktiv und ausgeglichen fühlen. In diesem Zustand sind wir „stabil“, sind leistungsfähig und gesund. Wir „ruhen“ gleichsam in uns selbst und können entspannt agieren.
Stabile Zonen sind neurophysiologisch absolut notwendig
Wie ein Sensor arbeitet unser Gehirn mit einer Mustererkennung. Erfahrungen, die wir machen, werden als Muster abgespeichert. Jede neue wahrgenommene Information wird mit den gespeicherten Mustern abgeglichen und vor allem im Hinblick auf eine mögliche Bedrohung gescannt.
Wenn das Gehirn keine Verbindung mit bekannten Mustern erkennen kann, weil die Situation unbekannt oder unvorhersagbar ist, so reagiert es, indem es für uns meist unbewusst auf die Situation fokussiert[4]. Dann wird u. a. die vermehrte Produktion von Kortisol angestoßen. Das Kortisol bewirkt, dass im Gehirn mehr Verbindungen zwischen den Gehirnzellen (Synapsen) gebildet werden und damit kurzfristig besser gelernt werden kann. Ebenfalls führt Kortisol zu einer Erhöhung des Glukosespiegels, was die Muskelleistung erhöht.[5] Damit kann die Situation schneller und leichter bewältigt werden. Dies sind überlebenswichtige Mechanismen, falls man tatsächlich in eine Bedrohungssituation gerät.
Neue Situationen und der Aufmerksamkeitsmechanismus führen also dazu, dass wir leichter lernen und wir fit darin bleiben, mit Änderungen umzugehen.
Befinden wir uns jedoch länger anhaltend oder ständig immer wieder in Situationen, die neu und unbekannt sind, so wird der oben genannte Mechanismus zum Dauerzustand. Dies führt zu chronischem Stress mit tiefgreifenden Konsequenzen. Das Gehirn verändert sich. Die Verbindungen zwischen den Synapsen schrumpfen und damit gehen Zellkontakte verloren, es entsteht Gedächtnisverlust[6]. Chronischer Stress führt auch zu weiteren, bekannten Phänomenen wie Depressionen, Schlafstörungen, Fettleibigkeit oder Drogenmissbrauch.
Allein aus diesen Gründen ist es zwingend notwendig, stabile Zonen mit einem gewissen Maß an sicheren und vorhersagbaren Situationen zu schaffen.
Darüber hinaus hat die Natur unser Denkorgan so eingerichtet, dass ca. 95% der menschlichen Aktivitäten automatisch und unterbewusst gesteuert werden[7]. So müssen wir beispielsweise beim Essen nicht mehr darauf achten, wie wir den Löffel halten und wir reichen Personen zur Begrüßung automatisch die Hand hin. Dennoch verbraucht unser Gehirn immer noch 20% des täglichen Energiebedarfs. Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieses Energiereservoir relativ stabil ist. Das bedeutet, dass mit diesen 20% alle Funktionen des Denkens und Steuerns abgedeckt werden müssen. Dazu gehört das Verstehen, Erinnern, Abspeichern von Informationen, Entscheidungen treffen wie auch die soziale Kontrolle (Reaktion auf ein Ereignis in einer sozial anerkannten Form, beispielsweise in einem Meeting nicht herumschreien, auch wenn man sich gerade sehr ärgert). Wird dieses Energiereservoir durch das Verarbeiten unbekannter Muster stark in Anspruch genommen, so steht für andere Funktionen wie beispielsweise soziale Kontrolle nicht mehr so viel Energie zur Verfügung. Man kann das sehr gut beobachten, wenn Teams in einer starken Stress-Situation stecken. Da liegen die „Nerven blank“, und es fallen Worte, die Arbeitsbeziehungen oder das gesamte Projekt belasten können. Das kann so weit führen, dass Projektmitglieder aus Frust oder Wut ihre Mitarbeit einstellen.
Wenn stabile Zonen zur Verfügung stehen, die in gewissem Umfang für Sicherheit und Vorhersagbarkeit sorgen, so wird dieses Energiereservoir weniger belastet, möglicherweise sogar aufgetankt. Deshalb ist gerade in Zeiten dramatischer Veränderung das Schaffen und Erhalten von stabilen Zonen – auch in Form von Routinen – absolut notwendig, denn sie ermöglichen unserem Gehirn regelmäßig den erholsamen „Stand-by-Modus“. Außerdem schaffen stabile Zonen ein Gefühl von Zugehörigkeit und Einflussnahme, wodurch Angst minimiert wird und das Gefühl von Sicherheit erhöht wird – eine wichtige Voraussetzung für die Erhöhung von Risikobereitschaft, ohne die Veränderung und Innovation nicht möglich ist.
Stabile Zonen in Bewegung
Im Zeitalter der Digitalisierung mit dem daraus resultierenden gesamtgesellschaftlichen Umbruch bleiben weder unsere beruflichen noch unsere persönlichen stabilen Zonen vom Wandel verschont. Im End-Consumer Bereich stellt beispielsweise die „Smartifizierung“ (Smart-Home, Smart-TV, Smart-Car, Internet of Things) gerade bisher Vertrautes und Gewohntes gnadenlos auf den Kopf. Diejenigen, die sich in Vereinen, Clubs, Verbänden, Kirche etc. engagieren, erleben auch dort Wandel auf verschiedenen Ebenen. Im Berufsleben beobachten wir gerade, dass Hierarchien immer flacher werden oder ganz verschwinden. Geschäftsmodelle, Prozesse, Technologien und Produktlebenszyklen verändern sich rasant und radikal. Der den Erdball umspannende Vernetzungsgrad von Supply Chains steigt stetig an und lässt Unternehmensgrenzen verschwimmen. Konzepte wie Any-Time und Any-Where und das Postulat der ständigen Verfügbarkeit verändern Lebensgewohnheiten und Beziehungen und lassen auch hier die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.
So stellt sich die Frage, wie stabil unsere stabilen Zonen[8] heute noch sind. Halten z.B. unsere Ideen und Werte dem Wandel stand? Werden wir auch morgen noch den Einfluss haben, den wir heute haben? Werden die Menschen, auf die wir uns heute verlassen, auch morgen noch verfügbar sein? Werden die Plätze, die wir heute aufsuchen, um Kraft zu tanken, morgen noch da sein? Wird die Organisation, für die wir heute arbeiten oder uns engagieren, auch morgen wollen, dass wir das tun? Und werden die Dinge, die wir heute so sehr schätzen, morgen noch von Wert für uns sein?
Wir müssen uns wohl mit dem Gedanken anfreunden, dass sich die Beständigkeit unserer stabilen Zonen in Zukunft ebenfalls verringert. Das Schaffen und Pflegen von stabilen Zonen für uns und die Menschen, mit denen wir arbeiten und leben, ist gerade in Zeiten radikaler Umbrüche eine wichtige (Führungs-)Aufgabe, denn ohne ein gewisses Maß an Stabilität gibt es keine Veränderung.
Stabile Zone „Projekt“
In der agilen VUCA-Arbeitswelt wird Projektarbeit nicht nur weiter zunehmen, sie wird sich auch stark verändern. Projekte werden stärker und, anders als heute, die Rolle von Organisationen auf Zeit einnehmen. Sind sie heute noch vielfach eingebettet in mehr oder weniger stabile Organisationen, denen sich die Menschen zugehörig fühlen, wird es diese in nicht allzu ferner Zukunft so nicht mehr geben. Unsere Gesellschaft entwickelt sich momentan „weg von einer klassischen Angestelltengesellschaft hin zu einer Gesellschaft, in der mehr und mehr Menschen entweder alleine oder in Teams selbständig sein werden und ihre Arbeitskraft auf einem nur schwer überschaubaren Markt auktionieren müssen“[9]. In dieser völlig veränderten Berufswelt werden Projekte zu temporären, lernenden Organisationen, die für die nötige Stabilität sorgen, ohne die Lernen, Weiterentwicklung und Veränderung nur schwer möglich ist. Projekte entwickeln sich zu stabilen Zonen auf Zeit, die sich nach Erledigung des Projektauftrags auflösen bzw. verändern. Projekte werden als stabile Zonen wahr- und angenommen, wenn sie
- Orientierung geben: Stabile Zonen sind Bereiche, die Menschen mit gleichen Ideen, Werten oder Zielen zusammenbringen. Die Aufgabe und der Sinn eines Projekts können eine solche Funktion erfüllen. Wenn es gute Gründe gibt, an diesem Projekt mitzuwirken und das Ziel attraktiv ist, dann bietet das Projekt in dieser Hinsicht eine stabile Zone. Diese bietet Orientierung in Zeiten von Konflikten, Druck und Stress oder Änderungen im Projektumfeld. Wie an einer Kompassnadel können sich die Projektmitglieder immer wieder an Aufgabe und Sinn ausrichten und bewegen sich damit in die gleiche Richtung.
- eine Basis für Motivation sind: Damit Menschen motiviert in einem Projekt arbeiten, müssen sie ihre persönlichen Motive befriedigen können. Dies z.B. der Wunsch sein nach sozialem Anschluss, nach Einflussnahme oder eine besondere Leistung zu zeigen[10]. Die Aufgabe der Projektleitung bzw. derjenigen Personen, die Einfluss auf das Projekt haben, ist es, genau hier die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. In Projekten gibt es viele verschiedene Aufgaben. Das können Teamaufgaben oder Einzelarbeiten, besonders anspruchsvolle Aktivitäten oder Routinetätigkeiten sein. Aber auch der Grad an Verantwortung und Kontrolle kann meist unterschiedlich in Projekten vergeben werden. In einer stabilen Zone sind genau diese Rahmenbedingungen so gesetzt, dass sich die Projektmitglieder mit ihren Motiven wiedererkennen. Sie sind motiviert und können sich entfalten.
- für Effizienz und Vertrauen in der Zusammenarbeit sorgen: Wenn sich innerhalb eines Projekts Zusammenarbeit etabliert, dann passiert das dadurch, dass Projektmitglieder Beziehungserfahrungen machen. Anfangs ist der gegenseitige Kontakt noch vorsichtig und verhalten. Im Laufe der weiteren Begegnungen lockert sich dies, denn die Personen gewinnen ein Bild davon, wie ihre MitstreiterInnen denken und sich verhalten. Während der folgenden Projektarbeit ist dann die effiziente Bearbeitung der sachlichen Themen möglich, denn das soziale Miteinander hat sich „automatisiert“. Es hat sich auf diesem Gebiet eine stabile Zone gebildet. Würde sich nun das organisatorische Gefüge laufend ändern, dann entfiele die oben genannte Effizienz. Das Team wäre ständig damit beschäftigt, sich auf sozialer Ebene zu arrangieren und Beziehungswissen und Vertrauen wieder neu herzustellen. Es könnte sich nicht auf die Sache fokussieren. Überdies müsste das Team Know-how Verluste ausgleichen.
- zum „Attraktor“ für kompetente ExpertInnen werden: Projekte werden attraktiv u.a. durch eine Vielzahl von tragfähigen stabilen Zonen innerhalb des Projektes, die sie bieten. Menschen haben meist einen Mix an stabilen Zonen (z.B. tragfähige Ideen, vertrauensvolle Beziehungen, Macht etc.), aus denen sie Kraft und Inspiration schöpfen. Wenn sie diesen Mix an stabilen Zonen in einem Projekt finden, ist das ein Motiv, sich genau für das Projekt zu entscheiden und sich zu engagieren. Das Projekt als stabile Zone ist dann mentale, spirituelle, emotionale oder auch lokale Heimat, die Wachstum bei gleichzeitig empfundener Sicherheit ermöglicht. Das führt dazu, dass Projektmitglieder gerne in diesem Projekt bzw. Projektteam arbeiten und dies auch ihrem Umfeld mitteilen. Das macht das Projekt bzw. das Projektteam auch für andere attraktiv, denn Menschen lassen sich in ihrem Urteil weniger von rationalen Gründen als von ihren Emotionen leiten.
Zugegeben, das ist eine (noch) eigenwillige Art Projekte zu betrachten. Doch diese Betrachtungsweise ist eine sehr ressourcenorientierte und lenkt den Fokus auf den Menschen und seine krafterhaltenden Bedürfnisse.
Brandneu aus unserer Toolbox
An dieser Stelle stellen wir Ihnen ein Werkzeug vor, mit dem das Thema „Projekt als stabile Zone“ reflektiert werden kann. Es ist in Anlehnung an die Selbstreflexionsübung „Stabile Zonen“[11] von uns entwickelt worden. Die Kategorien, die stabile Zonen innerhalb des Projektes darstellen, haben wir ergänzt um die Kategorie Führung, die unserer Meinung nach in der Projektarbeit eine wichtige Rolle spielt. Es bleibt Ihnen jedoch unbenommen, mit Ihrem Team andere relevante stabilen Zonen zu erarbeiten und diese dann als Kategorien zu verwenden.
Das Tool ist als Standortbestimmung auf der organisatorischen Ebene, der Teamebene und der individuellen Ebene vielseitig einsetzbar. Es erhöht unserer Meinung nach sowohl die Reflexions- und Dialogfähigkeit als auch Achtsamkeit und Resilienz im Projekt.
Abbildung 1: Kategorien Projekt als stabile Zone – das Tool zum Thema
Anwendungsbeispiele
Self-Assessment – und Kennenlerntool: Sie können das Tool als Designelement einer Teamentwicklung einsetzen, z.B. im Rahmen der Kickoff-Veranstaltung. Die Projektmitglieder nehmen für sich eine Bewertung der Kategorien anhand der Ausprägungsmerkmale vor.
Dabei reflektieren sie ihren eigenen Mix an stabilen Zonen und überlegen, welche Relevanz bzw. Priorität die einzelnen Kategorien für sie als stabile Zonen haben. Nachdem die Bewertung erfolgt ist, kann je nachdem, wieviel Zeit zur Verfügung steht, mit den Ergebnissen weitergearbeitet werden. Sie können in einen Dialog gehen, d.h. die Projektmitglieder stellen der Runde ihre einzelnen Bewertungen vor, während die anderen zuhören. Auf diese Weise lernen sich die Projektmitglieder auf eine sehr intensive Weise kennen. Danach kann dann z.B. in Gruppenarbeit erkundet und vereinbart werden, wie man gemeinsam dazu beitragen kann, dass das Projekt zur stabilen Zone wird. Dieser Prozess sollte mit interner oder externer Moderation durchgeführt werden. Als ProjektleiterIn können Sie während des Prozesses unterschiedliche, wichtige Signale setzen und erhalten gleichzeitig viel Information darüber, wie Sie Ihr Projekt in Balance und Ihr Team bei Laune und performant halten können. Das Tool kann als Designelement einer Teamentwicklung in nahezu allen Phasen des Projektes zum Einsatz kommen.
Als Diagnose- und Reflexionstool, z.B. in Konflikt- und / oder Belastungssituationen: In Konflikt bzw. Belastungssituationen neigen wir oft dazu, die Ursachen in den Personen zu suchen, statt uns Gedanken zu machen bzgl. der tiefer liegenden Ursachen. Mit Hilfe des Tools können Sie z.B. als ProjektleiterIn für sich selbst oder mit Beteiligten oder Vertrauten reflektieren, ob eventuell stabile Zonen in Ihrem Projekt aus dem Gleichgewicht geraten sind. Sie können anhand der Kategorien mit Ihrem Team oder Einzelpersonen in einen Dialog gehen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Eventuell empfiehlt es sich hier der Einsatz einer externen Person als ModeratorIn. Das Tool kann aber in solchen Situationen auch als Instrument für die Selbstdiagnose verwendet werden, mit dem man beispielsweise Feedbackgespräche vorbereiten kann. Bei regelmäßiger Anwendung ist es sogar zur Krisenprävention brauchbar.
Als Analysetool, z.B. zu Beginn als Projektumfeldanalyse und vor allem, wenn das Projekt aus dem Ruder läuft: In solchen Fällen hilft manchmal ein Perspektivenwechsel. Mit Hilfe des Tools kann anhand der Kategorien reflektiert und analysiert werden, wie stabil das Projekt als solches noch ist. Ähnlich wie bei einer Projektumfeldanalyse können hier die verschiedenen Kategorien reflektiert und Qualität und Quantität bewertet werden. Z.B. hat die Projektidee oder das -ziel (noch) genügend Zugkraft und genügend UnterstützerInnen innerhalb und außerhalb des Projektes? Ist sie als Lösung eines Problems noch relevant oder interessant? Haben wir die Macht, Entscheidungen zu beeinflussen und Lösungen durchzusetzen? Welche Netzwerke brauchen wir und wen müssen wir eventuell ins Boot holen? In punkto Menschen: Haben wir die richtigen ExpertInnen an Bord? Und wie gut ist die Qualität unserer Arbeitsbeziehungen? Unterstützen wir uns gegenseitig genug? Haben wir die Führung die wir brauchen? Unterstützt uns die Führung oder behindert sie uns eher? Im Hinblick auf Organisation: sind wir adäquat organisiert? Haben wir das richtige Maß an Selbstorganisation und Selbstverantwortung? Wie interessant und attraktiv sind wir als Organisation für Andere? Bzgl. der Dinge können wir uns fragen: Wie sind wir ausgestattet? Haben wir das richtige Equipment? Die richtigen Symbole? Auf welche Plätze haben wir Zugriff? Haben wir die passenden Räumlichkeiten, Besprechungsräume, genügend Think Tanks und Rückzugsmöglichkeiten? Kann man sich in unseren Räumen wohl, zu Hause fühlen? Diese Analyse kann sowohl in Einzelarbeit, mit Hilfe eines Coaches, im Team oder auch mit anderen vertrauten Personen durchgespielt werden. Es kann auch als Präventions-tool fungieren, wenn eine solche Analyse in regelmäßigen Abständen wiederholt wird.
Wir, Simone Gehr und Sonja Rechthaler, beide erfahrene Coaches und Führungskräfte mit jahrelanger Projekt- und Changemanagement-Erfahrung beleuchten mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops das Projekt als stabile Zone und geben eine Kostprobe, wie man mit dem Tool arbeiten kann. Wir sind vom Potenzial des Tools begeistert und coachen Sie gerne im Umgang mit dem Tool. Mit seiner Hilfe können Sie Ihre Projekte schon heute zu stabilen Zonen formen und so Burnout und Überforderung vorbeugen – bei Ihnen selbst und bei Ihren Projektkolleginnen und -kollegen. Das Tool ermöglicht jederzeit und in jeder Phase der Projektarbeit eine Dosis Reflexions- und Identitätsarbeit, die hilft, mit sich selbst, dem Team und dem Projekt in Kontakt zu kommen oder zu bleiben. Es hilft, ein Bewusstsein zu entwickeln über die eigenen Identitätsmerkmale und die des Teams und lässt im besten Falle in unseren bewegten Zeiten die Erkenntnis reifen, dass tiefe Sicherheit nur in der eigenen Person liegen kann.
[1] vgl. managerSeminare, Heft 177, Dezember 2012, S.20
[2] Vgl. für folgenden Abschnitt Dr. Roswita Königswieser, “Stabile Zonen“ in: Rauen, Christopher (Hrsg.), Coaching Tools, 2004, S.95-98
[3] Dr. Roswita Königswieser in ebenda, S.97
[4] Hedden Trey, Gabrielly John, (2006) The ebb and flow of attention in the human brain, Nature Neuroscience 9, S. 863-865
[5] Olpe H. R., Seifritz E. (2014) Bis er uns umbringt? Wie Stress die Gesundheit attackiert und wie wir uns schützen können, Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern, S. 44-47
[6] Olpe Hans Rudolf, Seifritz Erich (2014) Bis er uns umbringt? Wie Stress die Gesundheit attackiert und wie wir uns schützen können, Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern, S. 59
[7] Schwartz Tony, Gomez Jean (2010), Be Excellent at anything, Simon & Schuster UK Ltd, London, S. 35
[8] vgl. auch Rauen, Christopher (Hrsg.), Coaching Tools, 2004, S.97-98
[9] Richard David Precht in der Talkshow Markus Lanz vom 31.08.2017
[10] Roth Gerhard (2013) Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, Klett Cotta, Stuttgart
[11] Rauen, Christopher (Hrsg.), Coaching Tools, 2004, S.95-98, entwickelt von Dr. Roswita Königswieser
Dieser Artikel erschien als Tagungsbandbeitrag für den Methodentag 2017 des pm-forum augsburg, bei dem Frau Simone Gehr und Frau Sonja Rechthaler einen gleichnamigen Workshop hielten.